Anzeliowitsch spricht mit der New York Times
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Es schlug ein wie eine Bombe: Die Chefin der Rusada, Anna Anzeliowitsch, hat laut der US-Zeitung „New York Times“ erstmal die Vertuschung des systematischen Dopings im Gastgeberland der Olympischen Winterspiele 2014 zugegeben.
„Es war eine institutionelle Verschwörung“
so Anzeliowitsch. Allerdings sei laut der Rusada Chefin, die Regierung zu keinem Zeitpunkt beteiligt gewesen. Die „New York Times“ gab dazu an, mit mehreren Offiziellen ausführlich gesprochen zu haben. Der Kreml reagierte sofort und wollte prüfen, ob Anzeliowitsch in dem Interview korrekt zitiert worden sei, oder ob es eine Verdrehung der Tatsachen geben habe. Zuvor hatte der Chefermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), Richard McLaren, den Russen Staatsdoping und ebenfalls von einer „institutionellen Verschwörung“ gesprochen. Selbst der russische Inlandsgeheimdienst FSB und das Trainingszentrum der russischen Top-Athleten seien an diesen Betrügereien und Wettbewerbsverzerrungen beteiligt gewesen. Nach dem Interview mit Anzeliowitsch betonten die westlichen Medien, dass Vize-Ministerpräsident Witali Mutko nun zurücktreten müsse – er ist der ehemalige Sportminister Russlands. Hajo Seppelt, Doping-Experte der ARD, sagte:
„Man hat den Eindruck, als ob die Russen nun die Flucht nach vorne antreten würden.“
Aus der für uns nicht überprüfbaren Aussage „dass höchste Regierungsvertreter nicht beteiligt gewesen seien“ bastelt Seppelt den Vorwurf, dass im Umkehrschluss „andere Regierungsvertreter offenkundig, das geben sie jetzt zu, beteiligt gewesen sind.“ Daraus wiederum folgert der Experte, es habe sich hier eindeutig um Staatsdoping gehandelt, schließlich seien Regierungsvertreter, wenn auch auf niedriger Ebene, an diesem Skandal beteiligt gewesen. (laut Morgenmagazin der ARD, 28.12.2016).
Rusada dementiert umgehend
Es hat nicht lange gedauert, bis die russische Seite dementierte: Laut der Rusada seien die Aussagen der Leiterin in der „New York Times“ verfälscht gewesen und aus dem Zusammenhang gerissen worden. Auch der Kreml meldete Zweifel an der Darstellung der US-Zeitung an. Es müsse geprüft werden, ob es sich tatsächlich so zugetragen hat, so der Kremlsprecher Dmitri Peskow, der die „New York Times“ nicht als Erstquelle akzeptieren wolle. Natürlich hielten sich im Westen ansässige russische Medienvertreter nicht mit der Berichterstattung zurück. Der deutsche Ableger von Russia Today (RTDeutsch), einer regierungsnahen Nachrichtenseite, schrieb ebenfalls von falschen Darstellungen, hielt sich allerdings vornehm zurück in der Bewertung der Gesamtsituation. Hier ließ man die russische Eisschnelllauf-Olympiasiegerin und Parlamentsabgeordnete Swetlana Schurowa zu Wort kommen:
„Wir streiten auch nicht ab, dass es Doping gegeben hat. Wir bestätigen, dass es eine gewisse Zahl von Menschen gibt, die Dopingmittel eingenommen haben. Doch von einem „staatlichen Programm“ könne man nicht sprechen. Das Schema funktioniert so: Trainer, Sportler, Arzt und ihre individuelle Entscheidung. Ein staatliches Programm gibt es jedoch nicht.“
Interessant ist hierbei, dass auch Russia Today davon spricht, dass „hochrangige Regierungsvertreter“ nicht beteiligt gewesen seien, aber hierbei keinen Bezug zu Regierungsvertretern auf niedrigerer Ebene herstellten.
Hans Wilhelm Gäb: Die Bewertung des Gesprächs fällt sehr schwer
Der Ehrenvorsitzende des Aufsichtsrats der Deutschen Sporthilfe, Hans Wilhelm Gäb, hat sich via Deutschlandfunk nun auch zu Wort gemeldet. Er betonte dabei, wie schwierig es für Außenstehende sei, das Gespräch zwischen der „New York Times“ und Anna Anzeliowitsch zu bewerten, geschweige denn herauszufinden, was genau da gesagt oder auch nicht gesagt wurde.
„Es ist ja ganz ungewöhnlich, dass eine Zeitung von Weltrang wie die ‘New York Times’ aus einem solchen Gespräch veröffentlicht, ohne Dokumente für das Gedruckte zu haben, ohne Nachweise, dass etwas wirklich gesagt wurde. Es müsste ein Gespräch unter Zeugen gewesen sein oder es müsste ein Gespräch mit einer Tonbandaufzeichnung gewesen sein.“
Fakt ist, dass Russland immer mehr unter den schweren Vorwürfen zu Leiden hat. Einige Konsequenzen hat es bereits gegeben:
- Die Bob- und Skeleton-Weltmeisterschaften 2017 werden nicht in Sotschi stattfinden
- Der Ski-Weltverband und der Biathlon Weltverband sperrten einige russische Athleten vorläufig
- Bei den olympischen Spielen in Rio in diesem Jahr waren eine ganze Menge Russen gesperrt.
Inzwischen mehren sich auch die Forderungen, dass die Fußball Weltmeisterschaft in Russland 2018 abgesagt werden müsste. Doch Gäb weiß natürlich, dass solche Forderungen unerfüllbar bleiben werden:
„Na ja, wenn man das von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet, dann müsste man sagen, nein. Aber man ist leider im internationalen Sport da, wo das große Geld herrscht – was ja nicht in allen Sportarten der Fall ist –, ist man gewohnt, dass sich dem Geld und der politischen Macht alles unterordnet. Und insofern glaube ich auch nicht, dass diese riesige Sportveranstaltung Russland entzogen wird.“
Die Fakten – was ist wirklich passiert?
Wer sich die Lage genauer anschaut, der wird feststellen, dass der Wind, der durch den Blätterwald rauscht, viel stärker ist, als er sein müsste. Ganz nüchtern betrachtet ist es so, und das wird auch von keiner Seite angzweifelt:
- Es gab Doping in Russland
- Viele Entscheidungen bei den olympischen Winterspielen in Sotschi müssen überprüft werden
- Das Doping nahm kriminelle Züge an
- Eine Beteiligung der politischen Kreise in Russland ist weder bestätigt noch bewiesen
Es bleibt also dabei: Es hat Doping gegeben, ob vom Staat Russland kontrolliert und angeordnet ist aber eine völlig andere Sache und ist nicht bewiesen. Doch sollte sich jeder Sportinteressierte ein eigenes Bild von der Sachlage machen, und alle verfügbaren Quellen sorgsam prüfen.