Talfahrt nach überragender EM-Qualifikation
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An die Jahre 2014 und 2015 wird sich jeder Fan der ÖFB-Auswahl nur zu gerne erinnern. Die Alpenrepublik spielte eine bärenstarke EM-Qualifikation und holte sich mit neun Siegen in zehn Quali-Spielen (1 Unentschieden) ganz souverän den Gruppensieg, wobei man durchaus namhafte Gruppengegner wie Russland und Schweden klar distanzieren konnte. Zugleich konnte sich Österreich erstmals auf sportlichem Wege für eine Europameisterschaft qualifizieren, nachdem man 2008 als Co-Gastgeber automatisch gesetzt war. Doch zugleich war der Abschluss der überaus erfolgreichen EM-Qualifikation der Beginn der Krise.
Es begann mit einer äußerst holprigen Vorbereitung auf die EM, in der das Team Austria Heimpleiten gegen die Türkei (1:2) und EM-Tourist Niederlande (0:2) Niederlagen kassierte und zudem nur mühevolle Siege gegen Albanien (2:1) und Malta (2:1) verbuchte. Doch die schwachen Leistungen und Ergebnisse wichen der EUROphorie auf die EM-Endrunde, in der viele Experten Österreich sogar zum Kreise der Geheimfavoriten zählte. Sie sollten sich irren – und zwar gewaltig.
Auf EM-Debakel folgt WM-Quali-Frust
Die Auswahl des Schweizer Nationaltrainer Marcel Koller, der noch vor der EM 2016 mit Ehrungen überschüttet wurde, scheiterte sang- und klanglos in der Gruppenphase, wo es eine 0:2-Pleite gegen Ungarn, eine glückliche Nullnummer gegen den späteren Titelträger Portugal sowie abschließend eine 1:2-Schlappe gegen die EM-Sensation Island gab. Doch von einem temporären Tief, wie es beispielsweise auch die Spanier oder Engländer bei der EM in Frankreich erlebten, kann keine Rede mehr sein. Denn auch in der laufenden WM-Qualifikation legte Österreich einen klassischen Fehlstart hin. Das verdeutlicht allein schon ein Blick auf die Tabelle der Gruppe D nach vier Spieltagen:
- 1. Irland – 10 Punkte (3-1-0) – 7:3 Tore
- 2. Serbien – 8 Punkte (2-2-0) – 9:5 Tore
- 3. Wales – 6 Punkte (1-3-0) – 8:4 Tore
- 4. Österreich – 4 Punkte (1-1-2) – 6:7 Tore
- 5. Georgien – 2 Punkte (0-2-2) – 3:5 Tore
- 6. Moldawien – 1 Punkt (0-1-3) – 2:11 Tore
Zwar holte Österreich zum Auftakt einen knappen 2:1-Pflichtsieg in Georgien, in den folgenden drei Partien gegen die direkten Konkurrenten um Platz 1 oder 2 gab es aber keinen Sieg mehr: 2:2 gegen Wales, 2:3 in Serbien, 0:1 gegen Irland! Österreich hat den Anschluss an die ersten beiden Plätze bereits verloren, wenngleich aber eine WM-Qualifikation immer noch möglich ist, zumal auch noch 18 Punkte zu vergeben sind. Aber in der aktuellen Verfassung, ist das kaum realistisch. Umso glücklicher wird man im ÖFB-Lager sein, dass das Seuchenjahr 2016 vorbei ist.
Die Krise lässt sich mit folgender Statistik gut verdeutlichen:
- Österreich gewann nur zwei der letzten zehn Spiele (jeweils 2:1 gegen Malta und Georgien), zudem gab es zwei Remis (Portugal, Wales) sowie sechs Niederlagen!
Viele Ursachen für die Österreich-Krise
Doch womit lässt sich die Krise der Österreicher erklären? Es gibt viele Ansatzpunkte, wobei einer eindeutig der zu hohen Erwartungshaltung zugeschrieben werden kann, die nach der fulminanten EM-Qualifikation mit neun Siegen in zehn Spielen aufkeimte.
Zudem muss David Alaba als Sinnbild der Talfahrt herhalten. Der 24-Jährige darf zwar allein schon wegen seiner Verdienste für den ÖFB nicht als Sündenbock dienen, aber der Star des FC Bayern ist durchaus so etwas wie das Gesicht der Krise. Alaba ist DER Ausnahmespieler der Koller-Auswahl, wo er im Mittelfeld und nicht wie im Verein als Linksverteidiger spielt, doch mit seinen 24 Lenzen eben auch noch relativ jung. Formschwankungen wie der schussgewaltige Linksfuß in den vergangenen Wochen und Monaten erlebte, sind da vollkommen normal. Doch nach dem Alaba, der in den letzen Jahren einen steilen Aufstieg hinlegte, weder bei der EM als auch bislang bei der WM-Quali seine Normalform abrufen konnte, konzentriert sich die Kritik vor allem auf ihn.
Anfällige Defensive, mangelnde Effizienz
Aber auch klassische Basics tragen zur Österreich-Krise bei. So zeigte sich die ÖFB-Auswahl in diesem Jahr besonders in der Defensive sehr anfällig. Von der stabilen Kompaktheit, die die rot-weiß-rote Truppe noch zuvor ausgezeichnet hat, war in 2016 keine Spur mehr. Die Alpenrepublik hat sich reihenweise dummer Gegentore gefangen und seit dem Ende der EM-Qualifikation kassierte Österreich in elf von zwölf Partien mindestens ein Gegentor! Einzig im EM-Gruppenspiel gegen Portugal, wo Cristiano Ronaldo haufenweise Chancen liegenließ und auch einen Elfmeter an den Pfosten setzte, blieb der ÖFB-Kasten sauber (Testspiel vom 15.11.2016 gegen Slowakei wurde nicht berücksichtigt, Ergebnis bei Redaktionsschluss unbekannt).
Auch beim Toreschießen gibt es durchaus Probleme. Zwar ist die Torausbeute abseits der EM in diesem Jahr durchaus zufriedenstellend, aber gerade in den entscheidenden Momenten fehlten Marko Arnautovic, Marc Janko und Co. zuletzt die Kaltschnäuzigkeit. Keine gute Kombination, wenn Österreich wie zuletzt immer wieder einem Rückstand hinterherlaufen muss. Gegen Wales holte man zwar nach zwei Rückständen zumindest noch einen Punkt, doch gegen Serbien und Irland reichte es am Ende nicht mehr.
“Wir haben die Effizienz vermissen lassen. Es ist einfach so, dass es automatisch schwierig wird, wenn du zu Hause kein Tor schießt. Da wir momentan immer in Rückstand geraten und aus vielen Chancen wenig machen, springen null Punkte raus”, beklagte Julian Baumgartlinger nach der 0:1-Schlappe gegen Irland.
ÖFB-Team mittlerweile zu leicht auszurechnen
Natürlich wird die Talfahrt der österreichischen Nationalelf auch an Trainer Koller festgemacht, der mittlerweile um seinen Job zittern muss. Ihm wird vorgeworfen, dass er zu unflexibel ist und absolut auf Kontinuität setzt. An sich ist dagegen nichts einzuwenden, doch es birgt auch Gefahren. Zum einen hat sich im ÖFB-Team in den letzten zwei Jahren eine feste Stammformation herausgebildet. Das verspricht eine gute Eingespieltheit, aber wenn wichtige Akteure wie zuletzt Stammkeeper Robert Almer oder Spielmacher Zlatko Junuzovic fehlen, dann wird es problematisch. Zum anderen wird es dem Gegner einfacher gemacht, sich auf die ÖFB-Truppe einzustellen, was ein strategischer Nachteil ist. Ein bisschen mehr Experimentierfreudigkeit würde dem Team sicher zugutekommen, zumal somit auf Dauer auch Überraschungseffekte erzielt werden können.
In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Dreierkette aufgeführt. Koller hält Partout an der Viererkette fest, obwohl nach der EM mit Kapitän Christian Fuchs der etatmäßige Linksverteidiger im Alter von 30 Jahren seine Nationalmannschaftskarriere durchaus überraschend für beendet erklärte. Ähnlich wie in Deutschland herrscht auch bei unseren Nachbarn eine Außenverteidiger-Dürre, während gleichzeitig mit Aleksandar Dragovic, Kevin Wimmer oder Martin Hinteregger ein durchaus gutes Angebot fähiger Innenverteidigern zur Verfügung steht.
Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass eine mögliche Systemumstellung durchaus Zeit benötigt. Dennoch darf man gespannt sein, ob Koller künftig mehr Variantenreichtum an den Tag legt oder er bedingungslos an seinem Rezept festhält.
Keine Schwarzmalerei: ÖFB-Team kommt zurück
Doch auch wenn es aktuell um die österreichische Nationalmannschaft alles andere als gut bestellt ist, ist ein Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit nicht zu erwarten. Hierfür verfügt der mit etlichen Bundesliga-Stars gespickte Kader einfach über viel zu viel Qualität. Ob es aber reicht, noch einmal das Ruder in der WM-Qualifikation herumzureissen ist jedoch fraglich.
Fakt ist aber, dass nach einem schwachen Länderspieljahr nicht auf einmal alles schlecht sein kann. Zumal in der erfolgreichen Phase 2014 und 2015 auch längst nicht als gut war. Man darf nicht vergessen, wo die Fußballnation Österreich noch vor ein paar Jahren stand! Qualitativ und strategisch wurde eine beeindruckende Entwicklung vollzogen, die auch mit der sehr guten Nachwuchsarbeit begründet werden kann.
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