Morddrohungen und aufgeschlitzte Reifen in Locri
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Um diese Drohungen zu unterstreichen, hatten Unbekannte bereits mehrfach die Reifen des Autos von Ferdinando Armeni aufgeschlitzt, seinen Wagen zudem mit Drohbriefen verziert. Ferdinando Armeni ist der Präsident des kleinen, aber zuletzt zu viel Ruhm gekommenen Clubs. Selbst der Umstand, dass der Kindersitz von Armenis kleiner Tochter in dem Wagen ist, hielt die Täter nicht von ihren Untaten ab.
Armenis Konsequenz folgte auf dem Fuße. Kurz vor Silvester gab er das Amt als Präsident auf. Dabei war der Club erst vor 6 Jahren gegründet worden, die Zahl “2010” prangt auffällig im adrett gestalteten Wappen des Clubs Sporting Femminile Lcori. Auch die Umstände, dass Armeni sofort unter Polizeischutz gestellt wurde und er viel Solidarität von wichtigen Köpfen im Sport Italiens erhielt, konnte seine Meinung nicht ändern. So hatte sich Giovanni Malago, Präsident des Olympischen Komitees Italiens, geäußert, dass er die Mädchen auf dem Platz spielen sehen wolle – trotz des gewaltsamen Widerstands in Locri.
Doch selbst der erste Gegner nach dem Auftreten der Gewalt, die Frauen von Lazio Rom, fuhren nur mit großer Angst nach Locri. Während der Partie – die live im staatlichen Fernsehen gezeigt wurde – passierte schließlich nichts. Dennoch sind Partien unter Polizeischutz natürlich kein haltbarer Zustand für die Mädchen und überhaupt für die Gesellschaft in Italien.
Woher die Einschüchterungen kamen, war bis dahin nicht zu eruieren. Doch der so bedrohte Armeni beeilte sich, zu erklären, dass er keine Ahnung habe, wer dahinter stecken könne. Also auch nicht die Ndrangheta, so wollte er damit wohl sagen.
Mafia oder Machismus – oder beides?
Dazu muss man wissen, dass die Ndrangheta dafür gesorgt hat, dass man Locri in ganz Italien kennt. Allerdings nicht wegen des Fußballclubs der Frauen – und auch nicht wegen vieler historischer Gebäude von Römern und Griechen. Sondern weil die Ndrangheta hier in der unmittelbaren Nähe von Locri ihren Hauptsitz hat. Gar eine besondere “Festung” der Ndrangheta wird in dem keine 20 Kilometer von Locri entfernten Dorf Plati vermutet.
Doch selbst dieses Wissen hat es dem italienischen Staat bisher nicht möglich gemacht, die Ndrangheta entscheidend zu schwächen. Anders als andere Mafia-Clans aus Italien – beispielsweise Cosa Nostra – hängt die Zugehörigkeit zur Ndrangheta tatsächlich noch von echter Blutsverwandtschaft ab. Auch die Ndrangheta geht übrigens mit der Zeit. Während früher Erpressung und Schutzgeld die Haupteinnahmequellen waren, verdient man seine geschätzt über 50 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr vor allem mit Drogenhandel und illegaler Müllentsorgung. Das bedeutet aber nicht, dass die Ndrangheta in irgendeiner Weise friedfertiger geworden ist.
Die Verbindungen in die lokale Politik- und Geschäftswelt bleiben dabei auch von etlichen Versuchen des Staates, die Ndrangheta einzudämmen, meist unberührt oder werden zumindest nicht völlig gekappt. Insofern ist man in Locri zwar entsetzt über die aufgeschlitzten Reifen – andererseits ist derartige Gewalt auch nicht völlig unbekannt in der Region.
Weshalb so mancher vermutet, Präsident Armenis hilflose Frage nach den Urhebern sei vor allem als Ablenkungsmanöver gedacht. Denn jeder in Locri und Umgebung kenne Macht und Einfluss der Ndrangheta.
Dennoch stellt sich die Frage, was die Mafia mit einem derartigen Thema zu tun haben solle. Ernsthaft relevante Gelder sind bei einem Club mit einem Etat von 50.000 Euro für die gesamte Saison kaum zu holen. Weshalb sich die Frage stellt, ob es sich vielleicht tatsächlich nicht um Mitglieder der Mafia handelt, die die Frauen einschüchtern und ihnen Vorschriften machen wollen. Denkbar wäre schließlich auch eine einfache enttäuschte Liebe oder derlei private bis amouröse Verwicklungen. Dann wiederum wäre offen, warum sich diese Aktion gegen den Präsidenten richtet und nicht direkter gegen eine seiner Spielerinnen.
Wahrscheinlicher ist jedoch, vermuten Kenner Süditaliens, dass es sich bei der Aktion um gelebten Chauvinismus handelt, wie er in Italien immer noch weit verbreitet ist und nicht zuletzt im Fußball immer wieder ausbricht.
Die Frauen von Sporting Locri spielen weiter
Die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen in Mittel- und Nordeuropa mittlerweile Fußball spielen, ist in Italien noch nicht gegeben, trotz der langen Historie der Serie A der Frauen. Insbesondere Kalabrien sei ohnehin sehr konservativ, da passe es nicht ins Weltbild aller Einwohner, wenn junge Mädchen Fußball spielen.
Ein Blick in den Zitateschatz von Italiens Fußballpräsident Carlo Tavecchia unterstreicht die weite Verbreitung einer derartigen Haltung. Frauen im Fußball seien seiner Ansicht nach “behindert”. Erst vor wenigen Monaten bürstete er alle Frauen im Fußball als Lesbierinnen ab. Allerdings sind die Zahlen in Italiens Fußball der Frauen auch nicht unbedingt geeignet, eine große Gegenbewegung auszulösen. Gerade mal 25.000 aktive Spielerinnen hat das Land mit seinen 60 Millionen Einwohnern, nur ein Bruchteil dessen, was in Deutschland an Frauen und Mädchen hinter dem Ball herjagt.
Umso wichtiger war es, dass die Frauen von Sporting Locri sich dann doch nicht von den Drohungen einschüchtern ließen, ob von der Mafia oder schlichten Gemütern, die etwas gegen Frauenfußball haben. Bei der letzten Partie liefen sie mit dem Spruch “lo gioco” – zu deutsch: “ich spiele” – auf dem Hallenboden auf. Zwar gab es dann eine 2:3-Niederlage gegen die Frauen von Lazio Rom. Der Ball aber rollt wieder zwischen den Frauen von Locri und ihren Gegnerinnen.
Zudem äußerte man sich, dass der Präsident Carlo Tavecchia bei den Spielen von Sporting Locri nicht benötigt werde. Jemand, der selbst Frauenfeind ist, dessen Unterstützung wolle man nicht. Mutige junge Frauen also in jeglicher Hinsicht – gegenüber Altherrenansichten im eigenen Verband, aber auch gegenüber Drohungen von unbekannt. Ob die Mafia dahintersteckt, wird am Ende wohl nicht mehr zu eruieren sein. Eine im Resultat schöne Geschichte, die durchaus zum Vorbild für andere Frauenteams im Fußball geeignet ist, hat sich dennoch ergeben.
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